Über Führung in komplexen Transformationsprozessen

© Paula Markert - HAW Hamburg

Dass Mitarbeiterführung wesentlich zu einer erfolgreichen Digitalisierung beiträgt, hat Mark Weinhold-Hübner in seinem Vortrag zu unserer Fachtagung 2021 verdeutlicht. Beschäftigte müssen mitgenommen werden und Führungskräfte sich auf den Wandel einstellen, um auch unter schwierigen Bedingungen gute Chefs zu bleiben. Im Interview geht Mark Hübner-Weinhold auf das Führen in komplexen Transformationsprozessen ein.

Herr Hübner-Weinhold, bei einer Veranstaltung Anfang 2021 empfahlen Sie allen Führungskräften „auf Sicht zu segeln“. Was meinen Sie genau damit?

Ich bin gebürtiger Kieler und an der Ostsee aufgewachsen. Und bei uns an der Küste ist „Segeln auf Sicht“ eine klare Verhaltensregel für einen Skipper. Sie stecken Ihren Kurs in Richtung Ziel ab, steuern aber Ihr Boot immer auf Sicht, um rechtzeitig auf Hindernisse und andere Boote reagieren zu können. Insbesondere bei stürmischem Wetter oder in Nebelbänken ist das überlebenswichtig. Diese Haltung wird auch in der Führung von Organisationen immer wichtiger. Warum ist das so? Weil wir in einer Welt leben, die sich in den vergangenen 30 Jahren durch Globalisierung und Digitalisierung extrem verändert hat. Sie können Ihre Unternehmensentwicklung und -prozesse heutzutage nicht mehr möglichst genau planen. Dafür sind die Rahmenbedingungen oft zu volatil, zu unsicher, zu komplex und auch uneindeutig. Die berechenbare Stabilität der 1970erund 1980er Jahre ist passé. Also müssen Sie Ihren Hafen kennen, den Sie ansteuern wollen, und Ihren groben Kurs dorthin, aber steuern müssen Sie eben auf Sicht, wenn Sie nicht kentern wollen.

Bleiben wir noch kurz bei dem anschaulichen Bild des Segelboots. Wie sollte der innere Kompass einer guten Führungskraft in einem KMU aussehen?

Erst einmal ist es besser, einen Kompass zu haben als eine Landkarte. Denn die kann veraltet sein. Der Kompass aber weist immer zuverlässig nach Norden. Dieser Nordpol einer wirksamen Führungskraft wird durch drei Dinge bestimmt: Erstens eine klare Vision, also eine Sinn stiftende, Orientierung gebende und motivierende Antwort auf die Frage „Warum?“. Zweitens ein strategisches Ziel, wie Sie mit Ihren Ressourcen im Wettbewerb langfristig erfolgreich sein wollen. Drittens eine persönliche Haltung, die von Respekt gegenüber anderen Menschen, von Leidenschaft für Ihren Job und von verlässlicher Integrität geprägt ist. Nur damit gewinnen Sie langfristig das Vertrauen Ihres Teams, Ihrer Kunden und Geschäftspartner.

Inwieweit beeinflusst Vertrauen zwischen der Führungsebene und den Angestellten die Prozesse in einem mittelständischen Unternehmen?

Vertrauen gilt in der Betriebswirtschaft häufig als weicher Faktor. Das ist totaler Quatsch. Vertrauen ist eine knallharte, messbare Kennzahl. Wenn das Vertrauen in der Zusammenarbeit abnimmt, sinken auch die Geschwindigkeit und Zuverlässigkeit von Prozessen – und damit steigen die Kosten. Und anders herum: Gelingt es, eine Kultur des Vertrauens aufzubauen, werden die Prozesse unkomplizierter und besser, die Kosten sinken. Vertrauen wirkt immer, rund um die Uhr, an 365 Tagen. Es ist die Basis für jede erfolgreiche Kommunikation und für alle unsere Beziehungen. Damit ist Vertrauen eine Schlüsselkompetenz für Führungskräfte.

Und wie stehen Sie zu einer Einbindung und Mitbestimmungsmöglichkeit der Arbeitnehmer in die Phase der Transformation?

Dass die strategischen Ziele von der Leitungsebene vorgegeben werden, ist für die Gesamtsteuerung sinnvoll. Aber Transformationsprozesse werden an der Basis umgesetzt, und sie betreffen mehr oder minder stark auch die Kundenkontaktpunkte. Und wer weiß besser, worauf es im Miteinander mit Kunden und mit Lieferanten, ja, auch mit anderen Abteilungen im Unternehmen wirklich ankommt, als die Beschäftigten, die Tag für Tag an der Kundenfront arbeiten? Deshalb ist jedes Unternehmen gut beraten, seine Beschäftigten nicht nur in die Transformationsprozesse einzubinden, sondern sie diese sogar aktiv mitgestalten zu lassen – immer mit einer klaren Ausrichtung auf die strategischen Ziele.

 

Das Interview ist auch in unserer Broschüre "Aus dem Mittelstand — für den Mittelstand: Gemeinsam die digitale Transformation meistern. Praxisbeispiele . Unternehmerstimmen . Expertengespräche" abgedruckt.

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